Nutzungsänderung eines Bauwerks führt nicht zwingend zur abstandsflächenrechtlichen Neubewertung

Die Nutzungsänderung eines bestandsgeschützten Gebäudes führt nicht zwangsläufig dazu, dass die Einhaltung der Abstandsflächen durch das Gebäude neu geprüft werden muss oder gar der Bestandsschutz entfällt. Dies hat das OVG Berlin-Brandenburg in einer Entscheidung vom 15.02.2023 klargestellt (OVG 10 N 38/20).

In dem Fall ging es, wie nicht selten, um eine Nachbarstreitigkeit. Ein Grundstückseigentümer hatte noch zu DDR-Zeiten an der Grenze zum Nachbargrundstück ein Nebengebäude zu seinem Wohnhaus errichtet, das nach heutigen Maßstäben abstandsflächenrechtlich nicht zulässig wäre, da es die maximal zulässige Länge und Höhe überschreitet. In der im Jahr 1989 erteilten Baugenehmigung wurde das Gebäude als „Wirtschaftsgebäude“ bezeichnet. Im Jahr 2014 beantragte der Eigentümer beim Bauamt die Nutzungsänderung eines Raumes in dem Gebäude in einen Fitnessraum und erhielt hierfür die Genehmigung. Hiergegen wandten sich die Grundstücksnachbarn. Sie beriefen sich u. a. darauf, dass aufgrund der Nutzungsänderung nunmehr die aktuellen Abstandsregeln einzuhalten seien; ferner sei durch die Nutzungsänderung der Bestandsschutz entfallen und die neue Nutzung verstoße gegen das Gebot der Rücksichtnahme.

Die Nachbarn unterlagen sowohl im Widerspruchsverfahren als auch im erstinstanzlichen Verfahren vor dem Verwaltungsgericht. Den Antrag der Nachbarn auf Berufungszulassung wies das OVG Berlin-Brandenburg in seiner hier besprochenen Entscheidung zurück.

Das Gericht stellte zwar klar, dass auch eine bloße Nutzungsänderung ohne eine wesentliche Änderung der Bausubstanz eines Gebäudes eine abstandsflächenrechtliche Neubewertung erfordern kann. Das setze aber voraus, dass die Nutzungsänderung nachteiligere Auswirkungen auf einen durch die Abstandvorschriften geschützten Belang als die bisherige Nutzung hat. In Betracht kämen hier die Belange der Belichtung, Belüftung und Besonnung sowie der Brandschutz, aber auch der Wohnfrieden. Durch die Umwidmung eines einzigen Raumes des Wirtschaftsgebäudes zu einem Fitnessraum würden diese Belange allerdings nicht wesentlich berührt. Aufgrund der nur gelegentlichen Nutzung des Raumes seien weitergehende Beeinträchtigungen für die Nachbarn, als sie ohnehin bei der Nutzung als Nebenraum entstehen können, nicht zu erkennen. Durch die Umnutzung werde der Raum auch nicht zu einem „Aufenthaltsraum“, für die möglicherweise andere Maßstäbe gelten könnten.

Ebenso wenig sei der Bestandsschutz als solcher für das Gebäude entfallen, da der neuen Nutzung keine andersartige städtebauliche Qualität als der bisherigen genehmigten Nutzung zukomme. In einem reinen Wohngebiet gebe es gebietstypisch Beeinträchtigungen durch die bestehende räumliche Nähe, die von allen Beteiligten hinzunehmen seien. Etwaige Beeinträchtigungen durch die Nutzung eines Teils des Nebengebäudes als Fitnessraum würden nicht über diesen Rahmen hinausgehen. Aus demselben Grund läge schließlich auch kein Verstoß gegen das baurechtliche Rücksichtnahmegebot vor.

Als Fazit kann man aus der Entscheidung mitnehmen, dass sich Fragen von Nutzungsänderung und Bestandsschutz einer schematischen Betrachtungsweise entziehen. Welche rechtlichen Konsequenzen sich aus einer Nutzungsänderung ergeben, muss stets im Einzelfall geprüft werden.

Andreas Borgmann
pkl legal Rechtsanwaltsgesellschaft mbH
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