Ukraine-Krieg – Ein Fall von Force Majeure?

Mit steigenden Beschaffungs- und Energiekosten sowie Störungen in den Lieferketten hatten Unternehmen bereits während der Corona-Krise zu tun. Für viele Unternehmen hat sich die Situation mit dem Ukraine-Krieg und den verhängten Sanktionen massiv verschärft. Hat der Einkauf mit schwer kalkulierbaren Preisentwicklungen und Lieferschwierigkeiten zu kämpfen, schlagen diese Probleme im Vertrieb auch auf dessen Kalkulation und Terminplanung durch. Hier stehen einige Unternehmen gerade wegen der Dynamik der Entwicklungen vor ganz neuen Herausforderungen. Nicht alle Probleme lassen sich durch Umstrukturierung der Prozessabläufe oder internes Controlling auffangen. Mitunter sind Unternehmen vertraglich bereits langfristig gebunden und haben nun mit Kostenstrukturen zu kämpfen, die mit ihrer ursprünglichen Kalkulation nur noch wenig gemeinsam haben.

Lassen sich die daraus ergebenden Probleme mit rechtlichen Mitteln auffangen? Welche vertraglichen Gestaltungsmöglichkeiten bestehen und wie kann man mit Aufträgen umgehen, die sich nun als unwirtschaftlich erweisen? Diese und ähnliche Fragen werden zunehmend an uns herangetragen. Mit diesem Beitrag geben wir aus anwaltlicher Sicht einen ersten Einblick in die Problematik.

Der Begriff „Force Majeure“ ist in Unternehmerkreisen weithin bekannt, dessen Bedeutung und praktische Relevanz wird jedoch nicht selten verkannt. Der Begriff „Force Majeure“ kommt aus dem internationalen Vertragsrecht und entspricht grundsätzlich dem, was im deutschen Recht als „höhere Gewalt“ bezeichnet wird. Die Begrifflichkeit „höhere Gewalt“ verwendet das deutsche Gesetz z.B. im Beherbergungs- und Reisevertragsrecht sowie im Verjährungsrecht, ansonsten sind beide Begrifflichkeiten dem deutschen Gesetz eher fremd. Regelungen zur Force Majeure bzw. höheren Gewalt werden typischerweise vertraglich einbezogen. Bereits deshalb lassen sich Fälle, die gemeinhin unter den Begriffen Force Majeure und höherer Gewalt verstanden werden, nur dann korrekt beurteilen, wenn man zunächst die bestehenden Verträge und die dort in Bezug genommene Geschäftsbedingungen bzw. nationalen oder internationalen Handelsbedingungen auf deren Regelungsgehalt hin überprüft.

Jenseits vertraglicher Regelungen können sich die Risiken, die sich aus dem Russland-Konflikt und dessen weiteren Wirkungen ergeben, als eine Störung der Geschäftsgrundlage (§§ 313, 314 BGB) darstellen. In der Regel geht es dann um die Frage, inwieweit eine Anpassung der bestehenden Verträge verlangt werden kann. In besonderen Einzelfällen ist auch eine Kündigung der Verträge denkbar. Weil sich bei uns in der Praxis die Anwendungsfälle bislang auf die Vertragsanpassung konzentrieren, gehen wir auf diese nachfolgend näher ein.

Haben sich Umstände, die zur Grundlage des Vertrags geworden sind, nach Vertragsschluss schwerwiegend verändert und hätten die Parteien den Vertrag nicht oder mit anderem Inhalt geschlossen, wenn sie diese Veränderung vorausgesehen hätten, so kann eine Anpassung des Vertrags verlangt werden, soweit einem Teil unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls, insbesondere der vertraglichen oder gesetzlichen Risikoverteilung, das Festhalten am unveränderten Vertrag nicht zugemutet werden kann (§ 313 Abs. 1 BGB). Einer Veränderung der Umstände steht es gleich, wenn wesentliche Vorstellungen, die zur Grundlage des Vertrags geworden sind, sich als falsch herausstellen (§ 313 Abs. 2 BGB).

Bei Neuverträgen, die nach Ausbruch des Ukraine-Krieges abgeschlossen wurden bzw. künftig erst abgeschlossen werden, sind die Wirkungen des Krieges sowie des Russland-Konflikts bereits bekannt. Von einer nachträglichen Störung der Geschäftsgrundlage wird man bei Neuverträgen deshalb in der Regel nicht mehr ausgehen können. Wer in Neuverträgen seine Risiken auffangen will, sollte sich entweder vertraglich oder im Einkauf absichern. In der Regel gilt der Grundsatz, dass jeder Unternehmer sein eigenes Kosten- und Beschaffungsrisiko selber tragen muss.

Bei Altverträgen, die vor Ausbruch des Ukraine-Krieges abgeschlossen wurden, dürften die meisten Parteien bei Vertragsabschluss übereinstimmend noch davon ausgegangen sein, dass sowohl unser Frieden in Europa als auch die Energieversorgung und Materialbeschaffung nicht gefährdet seien. Inwieweit diese Vorstellungen zur Grundlage eines Vertrages geworden sind, lässt sich nur im Einzelfall beantworten. Wurden Preise kalkuliert, liegt die Vermutung nahe, dass die Vorstellung vom Frieden in Europa und einem wirtschaftlich weitgehend stabilen Umfeld auch der Kalkulation zugrunde gelegt wurden. Die grundsätzliche Anwendbarkeit von § 313 BGB (Störung der Geschäftsgrundlage) scheint uns anlässlich des Russland-Konflikts naheliegend zu sein. Ob und inwieweit eine Vertragsanpassung, insbesondere Preisanpassung verlangt werden kann, lässt sich jedoch nicht pauschal beantworten. Dass die Rechtsprechung hierzu zeitnah einen generellen Rechtsgrundsatz aufstellen wird, dürfte nicht nur der Gesetzessystematik des § 313 BGB wegen, der individuelle Bewertungen der Einzelfälle erfordert, eher unrealistisch sein.

Für die Frage, ob eine Vertragsanpassung verlangt werden kann, kommt es zunächst maßgeblich auf die vertragliche oder gesetzliche Risikoverteilung, also darauf an, welche Vertragspartei welche Risiken zu tragen hat. Auch hier ist ein Blick in die bestehenden Verträge unumgänglich. Fehlt es an vertraglichen Regelungen zur Risikoverteilung, darf nicht verkannt werden, dass jeder Unternehmer sein Beschaffungsrisiko grundsätzlich selber tragen muss. Auf der anderen Seite handelt es sich bei den Risiken, die sich aus dem Ukraine Krieg, dem Russland-Konflikt, den Sanktionen und den daraus resultierenden wirtschaftlichen Verwerfungen ergeben, um ganz besondere Risiken, deren Risiken sich nicht pauschal einer Partei zuordnen lassen. Welche Risiken welche Vertragspartei zu tragen hat, lässt sich seriös nur unter Berücksichtigung der vertraglichen Regelungen, dem Wesen des Vertrages und dessen gesetzlichen Regelungen sowie der Umstände des Einzelfalls beurteilen.

Ob und in welchem Umfang – bei Vorliegen der gesetzlichen Voraussetzungen – eine Vertragsanpassung geltend gemacht werden kann, hängt auch maßgeblich von der Frage der Zumutbarkeit ab. Nur unzumutbare Störungen der Geschäftsgrundlage können einen Anspruch auf Vertragsanpassung rechtfertigen. Bei Maß und Inhalt der Vertragsanpassung sind die wechselseitigen Interessen der Vertragsparteien angemessen – auch unter Berücksichtigung des Kriteriums der Zumutbarkeit – zu berücksichtigen. Ob und mit welchem konkreten Inhalt eine Vertragsanpassung verlangt werden kann, lässt sich daher nicht pauschal beantworten.

Kommt man zu dem Ergebnis, dass ein Anspruch auf Vertragsanpassung grundsätzlich bestehe, steckt das größte Problem häufig im Zeitfaktor. Mit einer mehrjährigen, gerichtlichen Durchsetzung von Ansprüchen auf Vertragsanpassung ist in der Regel niemandem geholfen. Unternehmer, die vom Ukraine-Krieg, dem Russland-Konflikt, den Sanktionen und deren wirtschaftlichen Wirkungen so betroffen sind, dass sie sich entweder von ihren Verträgen lösen wollen oder zumindest auf eine Anpassung der Vertragsbedingungen angewiesen sind, benötigen eine Strategie, mit der sie ihre Interessen kurzfristig durchsetzen können. Bei der Entwicklung einer solchen Strategie gibt es leider kein allgemeines Rezept.

Bei der Entwicklung einer solchen Strategie und Durchsetzung Ihrer Interessen sind wir Ihnen gern behilflich. Insoweit können wir bereits auf erste erfolgreiche Erfahrungen zurückblicken.

Bei Fragen zu diesem Thema wenden Sie sich gern an Herrn Rechtsanwalt Klaus-Henning Burchardi.

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